Szombatis Kunst habe ich zweimal erleben dürfen.
Das erste Mal im Sommer 91 im Innenhof des
Museo Civico in Montepulciano, wo sich die
tönenden Gebilde mit dem herumliegenden
etruskischen Gestein und dem Marmor aus
dem Cinquecento sowie dem Uhrenschlag der
Kathedrale und dem Geschrei der Schwalben
vermischten. Eines schien aus dem anderen
hervorkommen oder in das andere übergehen
zu wollen, Kunst, Natur und Ewigkeit. Das andere
Mal war im Mai 92 im Münchener Gasteig,
während der 3. Münchener Biennale: Dort waren
zwei Foyers und ein sie verbindender Gang mit
aus flachem, leicht porösem rötlichen Backstein
gemachten am Boden liegenden Formen, Kreisen,
Ellipsen, Quadraten ausgestattet. Darüber hingen
an der hohen Decke angebrachte Fäden, deren
Ende von Kieselsteinen beschwert, von
Menschenhand in Bewegung versetzt, über den
Ziegelsteinen kreisen konnten. Dabei gerieten die
Kiesel in Berührung mit den Ziegeln, was ein
zartes Läuten erzeugte, immer neue hüpfende
rhythmische Gestalten und Signale. Sie erfanden
sich gewissermaßen an Ort und Stelle selber. Die
Art ihres Tönens hing übrigens stark von der Art
und Weise ab, mit der die Menschenhände die
Bewegung und damit die Berührung ausgelöst
hatten. Waren alle der sieben bis acht Steinspiele
in Aktion, was öfters vorkam, so hörte man eine
leise klirrende, flüsternde, tropfende Polyphonie
von großer Zärtlichkeit. An beiden Orten, Monte-
pulciano und München, habe ich beobachten
können, wie die mit den Steinspielen beschäftigten
Besucher allmählich ganz verliebt und verzaubert
ausschauten. Sándor Szombati ist ein Magier, der
aus den Grenz-Übergängen von Musik, Materie
und Bildlichkeit operiert und zart und diskret auf
die ganz leisen Dinge der Welt aufmerksam
macht, die man „normalerweise“ überhört oder die
vom Großstadtlärm und dem Krachen in unseren
Herzen andauernd übertönt werden. Da möchte
man wieder zum Kind werden, man möchte in eine
solche Art von Stille einkehren, wie Szombati sie
andeutet, und man möchte für immer darin
bleiben.
Hans Werner Henze
Zitate
Klangobjekt, 3. Münchener Biennale,
Internationales Festival für neues Musiktheater,
Gasteig, München 1992 (Photo: © Regine Körner)
Spätestens zu Beginn des 20. Jahrhunderts
machten sich einige Künstler der Avantgarde
daran, die[…] buchstäblich feststehenden
Charakteristika der Skulptur aufzubrechen. Sie
schufen abstrahierte oder vollkommen abstrakte
Werke, die sie tatsächlich in Bewegung ver-
setzten, sogar tendenziell zum Schweben
brachten und damit wesentliche Aspekte der
Skulptur, ihre Statik und ihre Bodenhaftung,
aufbrachen. Wladimir Tatlin etwa nutzt ab 1904
die Ecke zusammenstoßender Wände, um dort
filigrane Reliefs aufzuhängen, die zu schweben
scheinen. Ein anderes Beispiel sind die durch
Motoren bewegten räumlichen Strukturen von
László Moholy-Nagy, die seit den 1920er Jahren
entstehen und ihre Beziehung zum Raum
beständig ändern. In diesem Zusammenhang
sind auch die Mobiles von Alexander Calder zu
nennen, filigrane Draht-Konstruktionen, die ab
den 1930er Jahren entstehen und deren Ge-
wichtung dafür sorgt, dass die Gebilde in
ständiger Bewegung begriffen sind. Die abstrakt-
konstruktiven Werke solcher Künstler der
klassischen und der späteren Moderne bilden
einen Bezugspunkt für die skulpturalen Werke
von Sándor Szombati. […] Aus dem leeren Raum
heraus, mit Hilfe des im Nichts wirkenden
Magnetismus, gelingt es Sándor Szombati,
etwas „schon Vorgegebenes, aber noch nicht
Vorgewusstes“ (Imdahl) zu erschaffen: Die
magnetischen Kräfte, die er für sein Werk nutzt,
sind natürlich jedermann bekannt; die Lösungen,
die er findet, müssen jedoch unweigerlich in
Erstaunen versetzen.
Susanne Buckesfeld (aus der Eröffnungsrede am
11. Februar 2012 für die Ausstellung „Sándor
Szombati. Bewegung – Stillstand – Schweben“ der
Kulturgesellschaft der Stadt Ahlen in der
Städtischen Galerie)
Photos: © Ralf Hecker